Convective Wind Gusts (ConWinG)

Konvektive Starkwindereignisse in Deutschland

Da konvektive Windböen aufgrund ihrer geringen räumlichen Ausdehnung nicht vollständig und flächendeckend durch Stationsmessungen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) erfasst werden, bestand in Deutschland bisher ein erhebliches Wissensdefizit hinsichtlich ihrer räumlichen und zeitlichen Verteilung. Vor diesem Hintergrund wurde von ein paar Jahren am IMK-TRO und am Institut für Hydromechanik (IfH) das interdisziplinäre Projekts „Convective Wind Gusts (ConWinG)“ ins Leben gerufen, um diese Phänomene genauer zu untersuchen.

Diese Starkwindereignisse werden in der Regel durch Gewitterereignisse – vor allem während der warmen Sommermonate – ausgelöst. Bedingt durch den fallenden Niederschlag und durch Abkühlungsprozesse (diabatische Phasenübergange) in der Gewitterwolke entsteht ein lokaler Abwind (Downbursts; siehe Youtube), der nach dem Auftreffen auf der Erdoberfläche horizontal umgelenkt wird und anschließend bodennah eine divergierende horizontale Strömung erzeugt. Dies betrifft in der Regel nur eine kleine Fläche von wenigen Quadratkilometern und der lokale Abwind wird hier auch als Mikroburst bezeichnet. Zusätzlich können aber konvektive Böen durch Böenfronten (siehe Youtube) meist größerer meso-skaliger Gewitterkomplexe hervorgerufen werden. Hier kommt es zu einem Zusammen­schluss der Abwinde mehrerer Gewitterzellen, die dann bodennah zu hohen horizontalen Druckgradienten führen und dadurch in der Lage sind, hohe horizontale Windgeschwindigkeiten zu erzeugen (Wakimoto, 2001). Verbunden mit der Böenfront, die in der Regel über ein größeres Gebiet hinwegzieht, können dann eher einzelne konvektive Böen durch meteorologische Messstationen erfasst werden als bei einem einzelnen Mikroburst.

Verschiedene Studien haben bereits gezeigt, dass konvektive Böen im Vergleich zu großen außertropischen Sturm­tiefs (Winterstürmen) noch höhere Windgeschwindigkeiten erreichen können. Windspitzen von mehr als 50 m/s wurden bereits aufgezeichnet. In Deutschland wurde die stärkste gemessene konvektive Böe am 29. Juli 2005 an der Station Zinnwald (Erzgebirge) mit einer maximalen Windgeschwindigkeit von 52,6 m/s beobachtet (Mohr et al., 2017). Aufgrund von Schadenschätzungen nach solchen Ereignissen wird aber davon ausgegangen, dass auch Windgeschwindigkeiten vergleichbar mit denen eines F3-Tornados (d.h. 70 – 92 m/s) möglich sind.

Im Rahmen des DFG-Projekts „ConWinG“ wurde nun ein Ereigniskatalog für Deutschland aus Beobachtungsdaten des Deutschen Wetterdienstes (DWD; 1992–2014) erstellt und die Ereignisse statistisch ausgewertet. Daraus konnten erstmalig verschiedene charakteristische Merkmale der Böen wie zeitliche und räumliche Variabilitäten, Wiederkehrperioden und Böenfaktoren bestimmt werden (Mohr et al., 2017).

Die Ergebnisse zeigen beispielsweise, dass die Auftretenswahrscheinlichkeit konvektiver Böen von Nord- nach Süddeutschland zunimmt; subskalige räumliche Muster, beispielsweise durch den Einfluss der Orografie, konnten dagegen nicht identifiziert werden. Anhand der Verteilung der Maxima wird deutlich, dass schwere konvektive Böen von über 30 m/s überall in Deutschland möglich sind. Ähnlich wie bei anderen konvektiven Phänomenen (Blitz, Hagel) treten konvektive Böen in Deutschland vorwiegend in der warmen Jahreszeit auf (vor allem Mai bis August), wenn die atmosphärischen Bedingungen die Bildung organisierter Gewittersysteme begünstigen. So sind die meisten Ereignisse vor allem im Juni und Juli (z.B. 53 % der Ereignisse >/= 18 m/s) zu beobachten (siehe Abb. 1, rote Linie).

Abb. 1: Mittlere saisonale Verteilung (gleitender Mittelwert 11 Tage) für die relative Häufigkeit konvektiver Böen, die ≥ 18 m/s (rot) bzw. 25 m/s (blau) sind (Deutschland, 1992 – 2014, Quelle: S. Mohr/KIT).

Basierend auf den Stationen des DWD, wurden weiterhin mit Hilfe extremwertstatistischer Verfahren Wiederkehrwerte konvektiver Böen für verschiedene Wiederkehrperioden geschätzt. In Abbildung 2 sind die Ergebnisse für verschiedene Wiederkehrperioden (1, 10, 20, 50 und 100 Jahre) für vier Teilregionen in Deutschland zusammengefasst. Wie erwartet steigt die statistische Unsicherheit (Bootstrap-Methode) mit der Wiederkehrperiode an. Darüber hinaus ist die statistische Unsicherheit in den meisten Fällen höher als die regionale Variabilität in der jeweiligen Region (rote Linien). Aufgrund der begrenzten Datenverfügbarkeit von 23 Jahren weisen die Ergebnisse für die 100-jährlichen Ereignisse hohe Unsicherheiten auf (durch­schnittlich 14 m/s) und sollten mit Vorsicht behandelt werden. Zusammenfassend werden konvektive Böen über 20 (25) m/s durchschnittlich jedes (alle 10) Jahr(e) an den jeweiligen Stationen in Deutschland beobachtet.

Abb. 2: Mittlere Wiederkehrwerte konvektiver Böen (RV) für verschiedene Wiederkehrperioden in vier deutschen Regionen (graue Fläche). Rote Linien zeigen die Standardabweichung aller verwendeten Stationen innerhalb der jeweiligen Region an und schwarze Balken repräsentieren das mittlere 95% -Konfidenzintervall durch die statistische Unsicherheit der POT/GPD-Methode (Mohr et al., 2017).

In der zweiten Projektphase wurden basierend auf hochaufgelösten Windmessungen (< 1 min) an zwei Grenzschichtmasten 30 Fallbeispiele ausgewertet. Im Fokus standen hier verschiedene charakteristische Eigenschaften der Böen wie ihre zeitliche Entwicklung (Dauer, Anstiegs- und Abklingzeit), Turbulenzintensität, vertikale Geschwindigkeit, zeitliche Abhängigkeit des konvektiven Böenfaktors und der Zusammenhang zu weiteren relevanten meteorologischen Größen.

So liegt die der Anstiegszeit trise im Mittel bei 385 ± 258 s. In drei Fällen erfolgte der Anstieg sogar in weniger als 40 s (Minimum trise = 21 s). Aber auch eine sehr langsame Entwicklung bis zur maximalen Windgeschwindigkeit über mehrere Minuten ist möglich (trise 600 bis 1200 s). In der Regel ist trise erheblich kleiner als tdecay (83 %), wobei tdecay im Mittel bei 1500 s liegt – aber in Einzelfällen auch eine Stunde dauern kann (z.B. bei MCS). Zusammenfassend zeigen die untersuchten Fälle eine hohe Variabilität für tevent von 4 bis 105 min, wobei diese vor allem auf die Ursachen der konvektiven Böen (Mikroburst, Böenfront) und auf die Art der damit verbundenen Gewittersysteme (z.B. Einzelzelle/Gewitterlinie vs. MCS) zurückgeführt werden kann.

Die Betrachtung der meteorologischen Parameter während der Fallbeispiele zeigt das typische Verhalten während konvektiver Starkwindereignisse. So bewirkt der Durchgang einer Böenfront den Untersuchungen zufolge einem Temperaturabfall von 2 K/10 min im Mittel innerhalb von 20–30 Minuten, einem Druckanstieg und einer abrupten einsetzenden Änderung der Windrichtung (Abb. 3). Der Wechsel der Windrichtung ist meist deutlich ausgeprägt, wobei in Einzelfällen nur geringfügige Änderungen zwischen 10 und 30° erfolgen. Durch das Absinken kalter Luft im Abwind des Gewitters (Verdunstungskühlung) ist dort am Boden die Luft kälter im Vergleich zu Umgebung. Der Druckanstieg und die Änderung des Winds an der Vorderseite der Böenfront werden vor allem durch dynamische Effekte aufgrund der Temperaturdifferenzen zwischen den beiden Luftmassen verursacht (Markowski und Richardson, 2010). Ein ähnliches Verhalten konnte auch bei anderen Fallstudien beobachtet wurde (z.B. Järvi et al., 2007).

Abb. 3: Zeitreihen verschiedener meteorologischer Parameter für zwei Ereignisse (a) CASE8 (22. Jun. 2011, Lindenberg) und b) CASE26 (6. Aug. 201, Hamburg): Temperatur (T) in °C, relative Luftfeuchtigkeit (RH) in %/10, 3s-Windgeschwindigkeit (vH) in m/s, Windrichtung (WDIR) in °/10, Bodendruck (P) in hPa und Niederschlag (PREC) in mm. Für (a) T (Höhe = 10 m), RH (10 m), WDIR (40 m), PREC (1 m) und P (1 m) basierend auf 10-Minuten-Daten. (b) T (2 m), RH (2 m), PREC (1 m) und P (1 m) basierend auf 1-Minuten-Daten, während WDIR (50 m) auf 10-Minuten-Daten basiert.

In den meisten Fällen (83 %) sinkt der Druck vor Beginn des Ereignisses leicht ab, bevor es mit zunehmender Wind­geschwindigkeit wieder zu einem Anstieg kommt. Abhängig vom vorherrschenden  konvektiven Windsystem (einzelner Downburst vs. Böenfront) lässt sich die nachfolgende zeitliche Entwicklung des Drucks unterscheiden. In einigen Fällen kann eine kurze, prägnante Druckspitze beobachtet werden (z. B. CASE26 in Abb. 3b). In anderen Fällen steigt der Druck mit dem Ereignis und bleibt anschließend auf einem höheren Niveau als zuvor (z. B. CASE8 in Abb. 3a). Letzteres ist typisch für mesoskaligen konvektiven Systemen (MCS), bei denen, bedingt durch das Zusammenwachsen der verschiedenen Abwinde der Gewitter am Boden, es zur Bildung eines mesoskaligen Hochs kommt (Markowski und Richardson, 2010).

In der letzten Projektphase wurden verschiedene empirische Böenmodelle auf räumlich hochaufgelöste Reanalysedaten zur (flächendeckenden) Abschätzung der Wahrscheinlichkeiten maximaler konvektiver Böen in Deutschland angewendet. Dabei wurden die Ergebnisse der Böenmodelle auf systematische Unterschiede hinsichtlich ihrer Verteilungen und Intensitäten analysiert und mit Hilfe der verfügbaren Stationsdaten evaluiert. Ebenfalls untersucht wurde, welchen Einfluss die verschiedenen meteorologischen Parameter, die in die Böenmodelle eingehen, auf die Ergebnisse haben. Insgesamt zeigte sich, dass die Böenmodelle zwar grundsätzlich die räumliche Ausdehnung/Lage der Ereignisse reproduzieren, sich aber hinsichtlich der Intensität deutlich unterscheiden, sodass die Werte der modellierten Böen nicht direkt auf die Realität übertragbar sind.

Abschließend wurde aus der Kombination der Beobachtungs- und Modelldaten erstmalig eine zonierte Starkwindklimatologie für Deutschland erstellt (Abb. 4). Ähnlich zur der Windzonenkarte für turbulente Böen von Kasperski (2002) zeigt sich auch hier ein deutlicher Nord-Süd-Gradient in Übereinstimmung zu anderen mit hochreichender Konvektion verbundenen Phänomenen wie Blitzschlag (Piper und Kunz, 2017) oder Hagel (Puskeiler et al., 2016). Die Zonenwerte schwanken dabei zwischen 16 und 22 m/s für das 95 % Perzentil. Die räumliche Verteilung der Böenwahrscheinlichkeit wird vor allem durch die Schmelzschichthöhe, die Stabilitätsbedingungen, die Feuchtebedingungen in der unteren Troposphäre und der Entstehungshöhe des Abwinds bestimmt. Diese Starkwindklimatologie könnte zukünftig bei der Bemessung gebauter Strukturen, beispielsweise in den Windlastnormen, berücksichtigt werden.


Abb. 4: Zonierte Klimatologie für konvektive Starkwind­ereignisse in Deutschland, wobei die Zonen auf dem 95 % Perzentil­wert basieren: Zone (1) Werte < 17,5 m/s, Zone (2) 17,5 bis 19 m/s, Zone (3) 19 bis 20,5 m/s und Zone (4) Werte > 20,5 m/s.

Die gegenwärtig gültigen Windlastnormen für Gebäude oder Tragwerke beinhalten aktuell nur die Charakteristik turbulenter Böen. Konvektive Starkwindereignisse mit ausgeprägter vertikaler Geschwindigkeitskomponente und ihre Wechselwirkung mit städtischen Bebauungsstrukturen werden dagegen derzeit noch nicht berücksichtigt. Dies liegt unter anderem daran, dass, wie oben beschrieben, ihre Stärken und Dimensionen bisher nicht hinreichend bekannt waren und ihre Auftretenswahrscheinlichkeit unterschätzt wurde. Mit den gewonnenen Ergebnissen in dem Teilprojektes des IMK-TRO bestand nun am IfH die Möglichkeit, die Windlast auf typische städtische Bebauungsstrukturen besser abzuschätzen, wodurch eine erste wissenschaftliche Basis entstand, die zukünftig in den Normen berücksichtigt werden kann (Richter, 2017).

Quellen und weiterführende Informationen:

  • Mohr, S., Kunz, M., Richter, A. und Ruck, B. (2017): Statistical characteristics of convective wind gusts in Germany. Nat. Hazards Earth Syst. Sci., 17, 957–969, doi:10.5194/nhess-17-957-2017.
  • Piper, D. and Kunz, M. (2017): Spatiotemporal variability of lightning activity in Europe and the relation to the North Atlantic Oscillation teleconnection pattern, Nat. Hazards Earth Syst. Sci., 17, 1319-1336, doi:10.5194/nhess-17-1319-2017,
  • Puskeiler, M., Kunz, M., and Schmidberger, M. (2016): Hail statistics for Germany derived from single-polarization radar data, Atmos. Res., 178–179, 459–470, doi:10.1016/j.atmosres.2016.04.014.
  • Richter, A. (2017): Die Wechselwirkung von Fallböen mit typischen urbanen Bebauungsstrukturen. Dissertation, Fakultät für Bauingenieur-, Geo- und Umweltwissenschaften (BGU), Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), Karlsruhe, doi:10.5445/IR/1000077291.
  • Richter, A., Ruck, B., Mohr, S. und M. Kunz (2018): Interaction of severe convective gusts with a street canyon. Urban Clim.,23, 71–90, doi:10.1016/j.uclim.2016.11.003.
  • Wakimoto, R. M.: Severe Convective Storms, chap. Convectively driven high wind events, 255–298, Meteor. Monogr., The American Meteorological Society, Bosten, USA, 2001.